Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Wien, 20.April 2008

Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates!

Der neue EU-Reformvertrag, der substanziell gleich ist mit der von Frankreich und Holland mittels Referenden abgelehnten EU-Verfassung wurde in Österreich vom Parlament ratifiziert. Es fehlt noch die Zustimmung des Bundesrates und die Unterschrift des Bundespräsidenten. Dies nehme ich als Anlass, sie noch einmal richtig über die Sachlage zu informieren und meine Bedenken über dessen Inhalt zu äußern. Dieser Vertrag ist nicht nur demokratiepolitisch zu stoppen, sondern auch rechtlich. Die Kritik an dem Vertrag ist sehr umfassend, ich habe einige Punkte unterstehend angeführt:

•  Vereinfachtes Änderungsverfahren (Art.48/6):

Univ. Professor K. A. Schachtschneider schreibt in der Expertise zur Gesamtänderung der Bundesverfassung Österreichs durch den Reformvertrag der Europäischen Union:

Nach Artikel 48 Ab. 6 EUV kann der Europäische Rat durch Beschluss nach Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission sowie, bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich der Europäischen Zentralbank, auf Initiative der Regierung jedes Mitgliedsstaates, des Europäischen Parlaments und der Kommission einstimmig

„die Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teiles des Vertrages über die Arbeitsweise der EU“ beschließen.

Dieser Dritte Teil umfasst alle wichtigen Politiken der Union außer der Außen - u. Sicherheitspolitik.

Für diese vereinfachten Änderungen ist eine Zustimmung des österreichischen Nationalrates nicht unbedingt erforderlich. Der Hinweis auf die Zustimmung nach den verfassungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedsländer erscheint nicht ausreichend.

Prof. Schachtschneider weiter: Der Bundeskanzler ist nach Art. 23e Abs. 2 B-VG bei der Abstimmung im Europäischen Rat an die Stellungnahme des Nationalrates, dem nach Absatz 1 dieser Vorschrift Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist, gebunden. Aber er darf davon S.2 aus „zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen“ wieder abweichen. Die Integrationspolitik vermag sich somit durchzusetzen.

Die genannten Gründe sind eine Frage der Außenpolitik, die regelmäßig als nicht judiziabel gilt. Ein Rechtsakt im vereinfachten Änderungsverfahren kann und wird regelmäßig „eine Änderung des Bundesverfassungsrechts“ bedeuten, so dass nach Absatz 3 des Art. 23e B-VG „eine Abweichung jedenfalls nur zulässig ist, wenn ihr der Nationalrat innerhalb angemessener Frist nicht widerspricht“.

Wegen des „jedenfalls“ (ein mehr als unklarer Tatbestand) ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung letztlich den integrationspolitischen Zwängen gemäß Absatz 2 S. 2 folgen darf. Dafür spricht auch die Pflicht nach Absatz 4 S. 2, das Abweichen von der Stellungnahme des Nationalrates diesem unverzüglich zu begründen. Folglich ist auch im Falle des Absatzes 3 ein Abweichen der Bundesregierung möglich.(....)

Das österreichische Volk wird durch die Ermächtigung des Art 48 Abs. 6 EUV entmachtet und verliert seine Verfassungshoheit weitestgehend. Dem kann kein Volk zustimmen, das ein eigenständiger, existenzieller Staat bleiben will.(....)

Univ. Prof. Dr. Theo Öhlinger schreibt in dem Rechtsgutachten im Auftrag des Herrn Bundespräsidenten auf S. 9 zum vereinfachten Änderungsverfahren:

... Die Auffassung von Schachtschneider, eine solche Vertragsänderung sei in Österreich nicht parlamentarisch zu genehmigen, weil es sich dabei nicht um einen politischen Staatsvertrag handle, beruht auf einer schlichten Verkennung des österreichischen Verfassungsrechts. Auch jeder gesetzesändernde oder gesetzesergänzende Staatsvertrag, geschweige denn ein verfassungsändernder oder ein das EU-Primärrecht ändernder Vertrag, ist in Österreich vom Nationalrat unter Mitwirkung des Bundesrates zu genehmigen.

Es erscheint daher so, dass Professor Theo Öhlinger in dem Rechtsgutachten nicht ausreichend auf die Problematik des neuen vereinfachten Änderungsverfahrens eingeht, insbesondere auf die Tatsache, dass lt. Art. 23e BV-G das zuständige Mitglied der Bundesregierung aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen von der Stellungnahme des Nationalrates wieder abweichen kann.

2) Generalermächtigung zur Mittelbeschaffung

(ex Art. 269 Abs. 1 VAEU)

Die Union kann sich mit den erforderlichen Mitteln ausstatten, um ihre Ziele zu erreichen und ihre Politik durchführen zu können. Der Rat erlässt nach einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einen Beschluss, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden. Darin können neue Kategorien von Eigenmitteln eingeführt und bestehende Kategorien abgeschafft werden. Dieser Beschluss tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedsstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

Das klingt für viele beruhigend, aber weil der Beschluss ein Organakt der Union ist, bedarf es so wie vorher im „vereinfachten Änderungsverfahren“ keiner Ratifikation der Mitgliedsstaaten. Das heißt, dass demnächst EU-Steuern mit Billigungder österreichischen Bundesregierung ohne Zustimmung des Nationalrates eingeführt werden könnten. Der Beschluss des Rates gilt nach Art. 249 Abs. 3 VAU als „Gesetzgebungsakt“, obwohl er keinerlei gesetzgeberischen Charakter hat, abgesehen von seiner allgemeinen Verbindlichkeit. (Expertise Prof. Schachtschneider (www.kaschachtschneider.de)

3) Flexibilitätsklausel 352 AEUV( ExArt. 308 Abs. 1 VAU)

Lt. Expertise von Univ. Prof. K. A. Schachtschneider kann sich die Union so gut wie jede Befugnis verschaffen, ohne dass die Mitgliedsstaaten dem zustimmen müssen. Letztere können lediglich ihre (kläglichen) Einwendungen aus dem Subsidiaritätsprinzip zur Geltung bringen (Absatz 2).

Diese Kompetenz-Kompetenz geht deutlich über die bisherige Generalklausel des Art. 308 EGV hinaus, welche auf die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes beschränkt war. Sie gilt jetzt auch für die meisten Politikbereiche.

Zum Thema Flexibilitätsklausel schreibt Prof. Öhlinger in seinem Gutachten: Diese sich bereits aus der Fusion der drei Säulen ergebende Erweiterung des sachlichen Geltungsbereiches einer gewiss bedeutsamen, aber schon zur Zeit des Beitritts bestehenden Regelung kann zweifellos nicht als eine Gesamtänderung der Bundesverfassung qualifiziert werden.

Diese Argumentation erscheint nicht ganz vollständig und ausreichend.

Die Flexibilitätsklausel ist jetzt nicht nur auf die Ziele des Gemeinsamen Marktes beschränkt, sondern auf die in den Verträgen festgelegten Politikbereiche. Die Union kann fast jede Art der Politik - ohne Zustimmung nationaler Parlamente - umgestalten.

Schachtschneider schreibt: Lediglich Harmonisierungsverbote dürfen durch die Vorschriften nicht überspielt werden (Absatz 3) und die Verwirklichung von Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik darf nicht auf diesen Artikel gestützt werden (Absatz 4).

Viele sagen, dass die immerwährende Neutralität Österreichs mit der Verpflichtung zur Teilnahme an Kampfeinsätzen in Drittstaaten auch gegen den Terror und die Verpflichtung zur Aufrüstung - wie im EU-Reformvertrag festgeschrieben - unvereinbar ist. Es stimmt nicht, dass die Österreicher mit ihrem Ja zur EU, jedweder Entwicklung der Union zugestimmt haben.

Mit der Annahme des EU-Reformvertrages wird die österreichische Neutralität weiter geschwächt. Univ. Prof. Dr. Hans R. Klecatsky, einer der Väter der österreichischen Bundesverfassung, ehemaliger Justizminister und Experte für die österreichische Verfassungsgeschichte, stellt in einer Expertenrunde am 27.2.08 im Wiener Justizpalast, klar:

Das Neutralitätsverfassungsgesetz ist jenes Gesetz, das die volle Handlungsfähigkeit des österreichischen Staates wiederhergestellt habe.

Ohne Neutralitäts-Bundesverfassungsgesetz gäbe es kein freies Österreich, es erklärt sich als unantastbar. Die Neutralität ist immerwährend. Die österreichische Neutralität ist als staatsfundamental zu werten. Die seit dem EU-Beitritt geänderten Verfassungsbestimmungen wie z. B. Art. 23 f BVG (ermöglicht die Teilnahme Österreichs an weltweiten EU-Militäraktionen) zur Modifizierung der Neutralität sind laut Prof. Klecatsky totes Recht . Diese Verfassungsänderungen (dazu gehören auch der EU-Vertrag von Amsterdam und der von Nizza und folgende) sind verfassungswidriges Verfassungsrecht, denn das Neutralitätsverfassungsgesetz ist eben immerwährend und daher höher stehendes Recht. Ohne Neutralitäts-Bundesverfassungsgesetz gäbe es kein freies Österreich!

Prof. Klecatsky weiter: Der Integrationsprozess wird immer weiter gehen und das Ende ist nicht abzusehen.

Bisher hat man immer Ermächtigungsverfassungsgesetze gemacht; man hat das unterm Tisch genehmigt. Das ungeheuerliche an der Situation ist doch, dass man davon abgegangen ist mit der Bundesverfassungsnovelle, die am 1.1.2008 in Kraft getreten ist. Es gibt keine Staatsverträge im Verfassungsrang mit der EU mehr , alles geht mit Genehmigung des Nationalrates. Wo ist das Ende des Prozesses? Das ist bis heute nicht geklärt. Es ist nicht logisch nachzuvollziehen, dass wir unsere Geschichte, unser Schicksal in Hände neugeschaffener Rechtspersönlichkeiten legen, von denen keiner weiß, wer eigentlich dahintersteckt (so Prof. Klecatsky).

RA. Dr. Adrian Hollaender beim Expertenhearing: Erstmals wird die EU eine eigene Rechtspersönlichkeit, das war eben beim Beitritt Österreichs noch nicht so. Mehrheitsentscheidungen wurden erweitert. Das sind wesentliche Eingriffe in das BV-G und die gehören einer Volksabstimmung unterzogen.

Österreich wird in eine EU, die sich auf Grund ihrer weiten Ermächtigungen zu einem Bundesstaat wandelte - mit eigener Rechtspersönlichkeit - integriert, ohne Unionsvolk.

Ein Staat ohne Legitimation der sich dem grenzenlosen Freihandel verschrieben hat. (Schachtschneider).

Die EU muss man als Teil der internationalen Wirtschaft sehen. Diese Globalisierung der Wirtschaft bedroht nicht nur den Wohlstand, sondern auch den Weiterbestand der Nationalstaaten und die Existenz unserer demokratischen und sozialstaatlichen Verhältnisse, da die Volksvertreter gegenüber den internationalen Konzernen nichts zu sagen haben. Werden die Bedingungen nicht erfüllt, siedeln die Fabriken eben in jene Länder, deren Regierungen der Wirtschaft widerspruchslos gehorchen. Manfred Ritter schreibt in den Buch „Armut durch Globalisierung“ S 39: Durch fortschreitende Globalisierung sinkt unser Lebensstandard immer mehr. Wir alle aber werden noch weit größere Einschränkungen als bisher hinnehmen müssen, wenn der Staat sich nicht endlich auf seine Steuerungs- und Schutzfunktionen besinnt und Alternativen zur Globalisierung und zur „Weltherrschaft der Konzerne“ entwickelt. Die Globalisierung verkleinert nicht nur die Spielräume einer nationalen Wirtschaftspolitik zur Bedeutungslosigkeit, sondern führt auch zu einer Zweiklassengesellschaft unter weitgehender Ausschaltung des Mittelstandes.

Die Drahtzieher und Profiteure dieser Entwicklung werden sich nur durch Androhung des Austritts aus der Union zu einer gerechteren Politik „umstimmen“ lassen.

Prof. Schachtschneider sagt, wer den Rechtsstaat wahren will, muss aus der Union austreten.

Wenn Deutschland sagt: Wir treten aus, würden die internationalen Verträge neu geschrieben werden. Österreich könnte da ein wichtiges Zeichen setzen. Die „Armut durch Globalisierung“ kann durch „Wohlstand durch kleine Einheiten“ ersetzt werden. Zurück zu einem vernünftigen Maß, sagte schon Leopold Kohr. Demokratie kann nur in kleinen Einheiten funktionieren, dass sind eben die gewachsenen Nationalstaaten. Die Menschen sehnen sich nach Frieden, aber die EU ist kein Friedensprojekt mehr, sie ist eine Gefährdung für den Frieden und für politische Freiheiten, der Mitspracherechte in Staat und Gesellschaft und der sozialen Gerechtigkeit sowie Sicherheit. Die Mehrheit in Österreich will ein neutrales und freies Österreich und nicht zu einer EU-Provinz verkommen.

Helmut Schramm

 

 

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